(Vorabdruck)
Das unlängst publizierte Rechtsextremismus Barometer 2024 des DÖW liefert Ergebnisse, die auf unsere Gesellschaft durchaus Einfluss ausüben. Die Ergebnisse seien besorgniserregend – so legen es die Medien aus, aber auch andere. Für „Alarmismus“ gebe es keinen Grund, schreiben die Publizierende. Beides kann stimmen, muss es aber nicht. Mit Vorsicht zu interpretieren sind die Ergebnisse in jedem Fall.
These
Die Stichprobe der DÖW-Studie umfasst, so lesen wir, „2.198 Menschen, die nach Alter, Geschlecht, Bundesland und Bildung repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung zwischen 16 und 75 Jahren gesampelt wurden“. Das klingt optimal. Obwohl nicht explizit ausformuliert, müssen wir annehmen, dass damit alle gemeint sind, die „mehr als 90 Tage durchgehend mit einem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet sind“. Das ist laut Statistik Austria die Definition der „österreichischen Bevölkerung“. Ausländische Staatsangehörige zählen also ebenso dazu wie jene, die eine Migrationsgeschichte, ja Migrationshabitus haben.
Wenn „alle in einem Topf“ sind, werden aber wichtige Aspekte des Zusammenlebens ausgeblendet – schließlich geht es hier um strukturelle, ethnische, kulturelle und/oder religiöse und somit habituelle Unterschiede einzelner Bevölkerungsgruppen. Die in der Studie verwendete Kategorie „österreichische Bevölkerung“ ist sehr breit und daher nicht sehr glücklich gewählt.
Anderseits könnte eine derartige Nicht-Differenzierung auch schlüssige Gründe haben: Denn wir leben schließlich alle in derselben Gesellschaft. Durch einen solchen Ansatz würden sich Gemeinsamkeiten bestens durchleuchten lassen, die zurecht als wichtiger anzusehen sind als ethnische, religiöse oder kulturelle Unterschiede oder Abstände. „Identität“ hätte durch diesen Ansatz bei weitem nicht so große Bedeutung, wie dies leider oft der Fall ist. Und dieser Zugang wäre durchaus wünschenswert.
Eine solche universelle Zugangsweise müsste sich aber konsequenterweise dazu verpflichten, auch die zu erkundenden Einstellungen mit universellen Parametern zu messen. Das ist in der DÖW-Studie nur bedingt der Fall. Es wird nämlich beispielsweise gefragt: „Welche dieser Personengruppen hätten sie NICHT gern als Nachbarn?“ Die Frage zielt damit auf das Verhältnis zu ausgewählten Gruppen ab, die aber mit Vorurteilen behaftet sind – unter anderem auf: Muslime, Juden, Homosexuelle. Man möchte also wohl wissen, wie tolerant oder intolerant „waschechte Österreicher“ problematisierten Gruppen gegenüber sind. Damit ist ein universeller Ansatz jedoch vom Tisch.
Aus der DÖW-Studie ergibt sich ein weiteres Problem: Wenn die österreichische Bevölkerung dermaßen pauschaliert definiert wird, so gehen ethnische, kulturelle und religiöse Kämpfe zwischen unterschiedlichen Minderheiten, wie sie beispielsweise in Wohngemeinschaften, Schulen und im öffentlichen Raum tagtäglich vorkommen, völlig unter. Alles wird auf rassistische Konflikte zwischen Mehrheit und Minderheiten reduziert, obwohl solche auch zwischen einzelnen Minderheiten existieren. Das Ausmaß der bestehenden Konflikte zwischen Mehrheit und Minderheit soll hier selbstverständlich nicht geschmälert werden, aber es gilt zu bedenken, dass darunter auch noch andere Probleme schlummern.
Die Ergebnisse des Rechtsextremismus-Barometers zeigen, dass rund die Hälfte der „österreichischen Bevölkerung“ keine der ihnen vorgelegten Ethnien (Muslime, Juden, etc.) und sonstigen Minderheiten (z.B. Homosexuelle) gerne als Nachbarn hätte. Wir erfahren dazu aber zwei wesentliche Dinge nicht: a) welche weiteren Gruppen man (neben der abgefragten) noch ungern als Nachbar haben würde; b) wie diese „Ablehner“ mit ihren „unsympathischen“ Nachbarn umgehen würden. Ob sie ihnen – trotz ihrer Antipathie – ein Minimum an Respekt (Gleichheit vor dem Gesetz und Menschenwürde) einräumen oder ob sie ihnen etwa mit Vertreibung und Gewalt drohen würden. Das wäre an dieser Stelle wesentlich, auch wenn etwa mit der Messung, ob „Remigration“ als Lösung anzusehen sei, Vergleichbares angestrebt wurde.
Antithese
Der Ansatz der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, dem das Rechtsextremismus-Barometer zugrunde liegt, nimmt an, Gruppen anhand von Abwertungsmerkmalen hinreichend erfassen zu können. Um jedoch ausschlaggebende Haltungen einer Gruppe ausreichend erforschen zu können, sollten – so mein Vorschlag – sowohl ihre wesentlichen Neigungen/ Präferenzen als auch ihre Abneigungen/ Toleranzhaltungen untersucht werden. Nur die eine Seite der Medaille, also das, was Menschen nicht mögen oder störend finden, zu untersuchen, fördert nur die halbe Wahrheit ans Licht und lässt die Präferenzen, das, was Menschen gerne tun, ja lieben, ihre Resonanzbeziehungen im Dunklen.
Und anstatt eine „Minderheitenliste“ vorzulegen, hätte man mit einer offenen Frage eruieren können, ob die Befragten überhaupt bestimmte Gruppen als störend wahrnehmen, und wenn ja, welche. Damit wüssten wir jetzt genau, welche Personengruppen in Österreich wirklich als „unangenehm“ empfunden werden. Aus eigenen Studien wissen wir aber, dass ein bedeutender Anteil der Bevölkerung gar keine „störende“ Gruppe nennen würde. Und wir wissen, (b) dass zu den störenden Gruppen (wenn diese genannt werden) sämtliche radikalen Gruppen gezählt werden: linke, rechte und religiöse, auch manche politischen, esoterischen oder „fahnenschwenkenden“ Gruppen.
Wir haben in unserer aktuellen Studie außerdem erhoben, (b) dass „nur“ ein Anteil (eng gefasst 5 %) jener Menschen, welche die eine oder andere Gruppe als störend wahrnehmen, absolut nicht in der Lage sind, den erwähnten Gruppen gegenüber minimalen Respekt aufzubringen. Sie müssen daher als absolut intolerant gelten.
Es ist allerdings genauso wichtig zu erwähnen, dass ein bedeutender Anteil (44 %) der von uns untersuchten Bevölkerung unreflektiert-relativistische Wertschätzungen an den Tag legt, das heißt, geradezu verbissen glaubt, dass es die beste Haltung sei, alles und jeden wertzuschätzen. Es gibt aber auch Personen (25 %), die eine reflektiert-demokratische Toleranzhaltung aufweisen und damit jegliche pauschalen Ablehnungen oder Wertschätzungen ablehnen. Der Rest, nämlich rund 22 % der Befragten steht mit seiner Haltung im Paradigma der „Leitkultur“ und ganz wenige bevorzugen eine friedliche Koexistenz unterschiedlicher Kulturen.
Synthese
Wir können aus der DÖW-Studie trotz allem mitnehmen, dass es in Österreich um die zwischenmenschlichen Beziehungen derzeit nicht gut steht. Rund die Hälfte der Befragten will mit den abgefragten Minderheiten anscheinend kaum etwas zu tun haben. Zitat: „45 % der Befragten“ – wer immer sie sind und woher sie kommen – haben scheinbar „kein Problem mit den abgefragten Minderheiten […] und alle gern als Nachbarn hätten, bei Menschen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen sind das jedoch nur 16 %.“ (S. 20)
„Das Rechtsextremismus-Barometer zeigt“, so lesen wir abschließend im Bericht (S. 30), „auf allgemein zusammengefasst ein gesellschaftlich nicht vernachlässigbares Bedürfnis nach Abwertung der ‚anderen‘, eine Verachtung von Minderheiten sowie eine mit einem zunehmenden Vertrauensverlust in demokratische Institutionen verbundene sozialpsychologische ‚Lust‘ an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Autoritarismus.“
Laut unseren aktuellen Studienergebnissen wird das Zusammenleben in Österreich allerdings dadurch erschwert, dass es eine ethnisch heterogene Minderheit gibt, die vollkommen intolerant ist, und eine mehrfach größere, ethnisch ebenfalls heterogene Personengruppe, die den Werterelativismus als allein seligmachende Haltung ansieht. Das Spektrum dazwischen, die Kunst, sachlich (basierend auf den Menschenrechten) abzuwägen, was man mit guten Gründen akzeptieren kann und was nicht, ist viel zu gering.
Moderne Toleranz – und das ist wesentlich – hat weder etwas mit (er-)dulden zu tun noch mit entgrenzter Wertschätzung. Sie ist entweder die auf stichhaltigen Argumenten basierende Akzeptanz oder die auf Argumenten und Respekt basierende Zurückweisung von störend/ungerecht empfundenen Handlungen mit weitreichenden Konsequenzen für uns alle. Beides schafft Klarheit, beides ist gerechtfertigt. Klarheit täte gut. Die Politik, ja, wir alle sollten uns daran orientieren, wollen wir weitere politische und sonstige Radikalisierungen verhindern.
Die zunehmenden Radikalisierungen haben – das liegt mittlerweile auf der Hand – mit der enorm gestiegenen Macht der sozialen Medien zu tun und – parallel dazu – mit der schwindend geringen Investition in der humanistischen Bildung und Kultur. Es herrscht der Glaube, die Beschleunigung des Konsums garantiere noch am ehesten Frieden und erfülltes Leben. Obwohl eines allen klar sein muss: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.