Philosophie

Leitthese

Alle Menschen, aber auch Kulturen und Sprachen, Systeme lassen sich letztendlich auf Basis dessen fassen, wofür sie offen sind (Offenheit) und aufgrund dessen, wofür sie brennen (Resonanz) sowie in weiterer Folge auch danach, wie sie mit dem umgehen, was sie besonders gerne haben, ja lieben und damit, was sie nicht unbedingt mögen, wofür sie nicht brennen (Toleranz).

Anmerkungen

Das Erfassen der Welt und der oben genannten Einstellungen vollzieht und gestaltet sich stets aus einer bestimmten Perspektive, „die ihrer Form und ihrem Inhalt nach von der objektiven Position bedingt ist, von der aus man zu ihr kommt“ (P. Bourdieu, Praktische Vernunft 1998, S. 26)

Das Erfassen der Welt hängt also von der Struktur oder dem Profil des sozialen Raumes (Wissenschaft, Politik, Kunst, Religion, Wirtschaft etc.) ab, in dem wir uns bewegen, und von der objektiven Position oder der (ökonomischen oder symbolischen) Anerkennung, die uns in diesem sozialen Raum zukommt. Das Erfassen der Welt ist aber ebenso auf sämtliche uns charakterisierenden individuellen Dispositionen zurückzuführen, die wiederum von Veranlagungen, frühkindlichen Prägungen und Interaktionen maßgeblich gelenkt sind. Unsere Sichtweisen und Praktiken wurzeln also keinesfalls in der „Identität“, da diese meistens eine bloße Behauptung ist – oft mit ideologischer Intention. Sie fußen vielmehr in unserem Habitus, der von der Welt geprägt ist und die er auch mitprägt. Eine endlose Wechselwirkung von sozialer und personaler Struktur.

Die Erfassung der Welt hängt von den von uns verwendeten Theorien, Methoden, wissenschaftlichen, künstlerischen, religiösen oder sonstigen Ansätzen ab. Die Art und Weise, wie wir die Welt verstehen, zeigt sich also letztlich darin, in welchem Ausmaß wir dafür einen geeigneten Blickwinkel, eine optimale Sicht und eine angemessene Herangehensweise finden. Darin spiegelt sich unser Umgang mit der Welt.

Hartmut Rosa vertritt die These, dass unsere Weltbeziehung – wenigstens künftig – keinesfalls besitzergreifend ausfallen sollte: „Wenn die Welt nicht mehr als Aggressionspunkt, sondern als Resonanzpunkt erscheint, dem wir nicht in einem Modus der Aneignung, Beherrschung und Kontrolle begegnen, der auf Verfügbarmachung zielt, sondern in einer Haltung des anverwandelnden und selbstwirksamen Hörens und Antwortens, die auf eine wechselseitige responsive Erreichbarkeit gerichtet ist, verliert das Steigerungsspiel seinen Sinn und, wichtiger noch, seine psychische Antriebsenergie. Dann wird eine andere Welt möglich.“ (H. Rosa, Unverfügbarkeit 2022, S. 122.) 

Wie kann nun jene „andere Welt“ bestimmende Realität werden? Wenn nicht für alle, so doch wenigstens für eine robuste Mehrheit?

Dazu kehren wir zu Bourdieu zurück: „Wenn die Dinge und die Köpfe (oder das Bewusstsein) unmittelbar aufeinander abgestimmt sind, das heißt, wenn das Auge Produkt des Feldes ist, auf das es sich bezieht, erscheint ihm dieses Feld mit allen von ihm angebotenen Produkten als unmittelbar mit Sinn und Wert versehen.“ (Pierre Bourdieu: Die historische Genese einer reinen Ästhetik. In: Wulf, Christoph et al.: Praxis und Ästhetik. 1993, S. 18.) 

Folgendes lässt sich aus alldem ableiten: Wenn in der Vergangenheit das Bewusstsein vieler Menschen (vor allem mittels psychologischer Manipulation, mittels Werbung und anderer Narrative) in eine bestimmte Richtung gelenkt werden konnte – nämlich in Richtung Sieg, Steigerung und Gewinnmaximierung –, sollte es möglich sein, das bestehende kollektive Bewusstsein anhand neuer Erzählungen in die entgegengesetzte Richtung zu lenken: hin zu auf Kollaboration, Resonanz und Toleranz basierenden (Welt-)Beziehungen. Die Menge der Literatur dazu ist riesig, sie wartet nur darauf, auch von der Politik entdeckt und etabliert zu werden.

Mit der Pinzette die Flamme (fassen)