Dieser Text ist ein überarbeiteter und gekürzter Ausschnitt aus dem Kapitel „Thesen zu den Ursachen gröberer Schulkonflikte“ aus dem Bericht Offenheitsaspekte und Toleranzdimensionen der Schule, der demnächst auch in Buchform erscheint, es ist also eine Art Vorabdruck.
Thesen zu den Ursachen gröberer Schulkonflikte
Punktuell aufgezählt sind folgende allgemeine Konfliktursachen hervorzuheben:
- Autoritärer Erziehungsstil der Eltern oder Gewalt in der Familie
- Stärker ausgeprägter Nationalismus, Nationalstolz beziehungsweise kollektive Identitäten
- Stärker ausgeprägter religiöser Fundamentalismus
- Stärker ausgeprägter Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit
- Intoleranz
- Hohe Zustimmung für die Erlaubnistoleranz
Die gröberen Konflikte spielen sich sowohl unter den Schüler*innen als auch zwischen ihnen und den Lehrkräften ab.
Zu den wichtigsten Ursachen der Konflikte zwischen den Schüler*innen gehören:
- Der autoritäre Erziehungsstil der Eltern und die übernommenen Gewaltmuster spielen offenbar dazu bei, dass einige Buben gewalttätig sind. Die meisten Schlägereien, so eine Lehrkraft (D2), entstehen aufgrund dessen, dass jemand eine andere Person „provoziert“ oder beleidigt. Die von einigen Buben in solchen Situationen bevorzugte Reaktion ist der Weg der Schlägerei.
- Ein stark ausgeprägter Nationalismus, Nationalstolz beziehungsweise kollektive Identitäten liegen in allen möglichen Variationen unter einem geringeren Anteil der Schüler*innen vor. Davon sind die Klassen, Schulen und Schultypen völlig verschieden betroffen. Tatsache ist, wo mit der Karte des biologistisch angelegten Herkunftsnarrativs nicht gespielt wird, wo also die so ermittelte Gruppenidentität auf einem geringen Pegel steht, gibt es auch keine „Kulturkämpfe“ unter den Schüler*innen. Eine weitere Tatsache ist, dass von dem „Nationalstolz-Narrativ” ganz wenige Lehrkräfte und relativ viele Jugendliche betroffen sind.
- Der stärker ausgeprägte religiöse Fundamentalismus ist ein weiteres Problem. Vergleicht man seine Ausprägung unter den Lehrkräften und Schüler*innen, so sieht man in aller Deutlichkeit wie stark der religiöse Fundamentalismus unter den Schüler*innen eigentlich verbreitet ist beziehungsweise, wo er richtigerweise stehen müsste. Es ist alles andere als belanglos, ob sich in einer Klasse oder Schule keine oder mehrere Schüler*innen beispielsweise mit der folgenden Aussage identifizieren: Wenn Demokratie und Religion sich widersprechen, dann liegt die letzte Wahrheit in der Religion. […]
- Der stärker ausgeprägte Rassismus oder die Fremdenfeindlichkeit ist das nächste Problem. Beide Variablen sind unter den Lehrkräften deutlich weniger ausgeprägt als unter den Schüler*innen. Und in den Mittelschulen sind diese zwei Variablen wiederum stärker vertreten als in den AHS. […] Es ist auch in dem Fall alles andere als belanglos, ob sich in einer Klasse oder Schule keine oder mehrere Schüler*innen beispielsweise mit der folgenden Aussage identifizieren oder eben nicht: Ich finde, niemand sollte wegen seiner Hautfarbe benachteiligt werden.
Zu den wichtigsten Ursachen der Konflikte zwischen den Schüler*innen und Lehrkräften
- Einige Schüler*innen verhalten sich respektlos gegenüber den Lehrkräften und stören den Unterricht. Die Ursachen dafür sind in den gezeigten gröberen Einstellungsdefiziten der betroffenen Schüler*innen, im Erziehungsstil und allgemeinen Familienbereich zu suchen.
- Manche Lehrkräfte sind andererseits auch respektlos im Umgang mit den Schüler*innen, und das manchmal auch wegen deren Migrationshintergrund und anderer Einstellungsdifferenzen. Einige Kinder fühlen sich außerdem ungerecht behandelt und benotet. Dies führt zu Konflikten.
- Einige Schüler*innen verhalten sich respektlos gegenüber den Lehrkräften und stören den Unterricht. Die Ursachen dafür sind in den gezeigten gröberen Einstellungsdefiziten der betroffenen Schüler*innen, im Erziehungsstil und allgemeinen Familienbereich zu suchen.
- Manche Lehrkräfte sind andererseits auch respektlos im Umgang mit den Schüler*innen, und das manchmal auch wegen deren Migrationshintergrund und anderer Einstellungsdifferenzen. Einige Kinder fühlen sich außerdem ungerecht behandelt und benotet. Dies führt zu Konflikten.
- Eine sehr geringe Minderheit an Lehrkräften weist rassistische Einstellungen auf, lediglich 1,6 % (drei Personen) der befragten Lehrkräfte wurden als „eher“ (und keiner „voll“) rassistisch und 11 % als fremdenfeindlich eingestellt erfasst, aber dabei versteht sich, jeder Fall ist einer zu viel.
- Das Ausmaß der Zustimmung für die „strengen“ Erlaubnistoleranz ist unter den Erwachsenen allgemein höher als unter den Jugendlichen, und jenes unter den Lehrkräften ist zwar in Relation zu den Eltern geringer, doch es ist immer noch zu hoch. Auch wenn sich aufgrund des kognitiven Pretests und der Stellungnahmen, die in den Interviews dazu bezogen wurden, erschließen lässt, dass etwa die Hälfte dieser Aussagen mehr oder minder argumentierbare Ablehnungen enthalten, stimmen immer noch 15 % aller Lehrkräfte der folgenden Aussage voll oder eher zu: Alle Menschen sollten die Sprache und Kultur des Landes, in dem sie leben, kennen. Ich finde daher, Einwandernde (Migranten/Migrantinnen), die sich an die österreichische Kultur nicht anpassen, sollten in ihre (ursprüngliche) Heimat zurückgeschickt werden. Das heißt, beispielsweise von 100 Lehrkräften wären es genau 15 Personen, die diese Aussage für stimmig halten und für ihre Ablehnung kaum begründbare Argumente hätten. Und dieser Anteil, der natürlich von Schule zur Schule variiert – d.h. in manchen Schulen ist dieser Wert höher und in anderen ist er vielleicht Null – untermauert durchaus die Aussage mancher Schüler*innen und der Sozialarbeitskraft, dass zwar die Kinder manchmal zu schnell und ungerechtfertigt jemanden als „rassistisch“ bezeichnen, doch gibt es durchaus Fälle, wo sie damit recht haben.
Von der Schule ausgehende Faktoren, die Konflikte verursachen können
- Aufgrund fehlender Bildungscodes und -interessen bildungsferner Kinder zum einen und dem fehlenden oder unqualifizierten Umgang mancher Lehrkräfte zum anderen können Konflikte entstehen.
- Wenn die Leistung mehr zählt als gute menschliche Beziehungen.
- Wenn der Anteil der Schüler*innen oder Lehrkräfte die eine…
- hohe Zustimmung zu rassistischen und fremdenfeindlichen Meinungen aufweisen, relational hoch ist.
- fundamentalistische Religionsauslegung haben, relational hoch ist.
- hohe Zustimmung für die Erlaubnistoleranz aufweisen, relational hoch ist beziehungsweise der qualitativen Respekttoleranz beziehungsweise dem Modell der qualitativen Gleichheit relational gering ist,
- und schließlich, wenn es für die aufgezählte Situation zu wenig sozialarbeiterische oder psychologische Unterstützung gibt, sind stärkere Konflikte vorprogrammiert.
Empfehlungen
Unsererseits empfiehlt es sich, diese aufgezählten Punkte am jeweiligen Schulstandort zu prüfen beziehungsweise prüfen zu lassen und bei Bedarf Verbesserungsmaßnahmen zu treffen. Die Toleranz und andere wichtige Einstellungen der Eltern lassen sich schwer ändern, aber die Welt- und Schulbeziehungen der Schüler*innen lassen sich relativ einfach verbessern. Das Problem dabei ist, dass es selbst unter den Lehrkräften und somit im gesamten Schulsystem problematische Einstellungen gibt – wenn auch in geringerem Ausmaß. Denn wenn man die Abbildung der präferierten Toleranztypen der Lehrkräfte genauer betrachtet, so ist leicht zu erkennen, dass die „strenge“ Erlaubnistoleranz (a) relativ stark ausgeprägt ist. […] Die wichtigste Änderung auf der Seite der Lehrkräfte bestünde also in einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema Toleranz. Es sollte reflektiert und aufgearbeitet werden, woran es liegt, dass ein überholter Toleranztypus selbst seitens der Pädagog*innen mehr Zustimmung findet als eine deutlich modernere und gerechtere Respekttoleranz (Qualitative Gleichheit).
Kurzum: Wir haben zumal im untersuchten Teil des Schulbetriebs – und vermutlich auch gesellschaftlich – eine:
- im Paradigma der rechten „Leitkultur“ stehenden Toleranzhaltung (Erlaubnistoleranz: 20-30 % )
- eine ausgeprägte multikulturalische, linke Toleranzhaltung (Wertschätzungstoleranz: 45 %)
- aber wir haben eine schwache Toleranzhaltung der Mitte (Respekttoleranz: eng berechnet 12 %). Doch genau davon würde unsere Schule und Demokratie dringend etwas mehr brauchen.
Das Ausmaß der tatsächlich stattfindenden Konflikte, die seitens der Direktionen geschildert wurden, lassen sich anhand der Ergebnisse nachvollziehen, beziehungsweise mit weiteren Details ergänzen. Auch das Verlangen nach stärkerer Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen ist bestens nachvollziehbar. Die tatsächlichen Ursachen der Probleme und Konflikte sind jedenfalls nicht ausschließlich bei den Eltern zu verorten. Jedoch lassen sich die Probleme, die durch die elterliche Erziehung entstehen, nicht ohne weiteres durch mehr Schulsozialarbeiter*innen entkräften: Die Lösung liegt in der Ursachenbekämpfung. Und das sind vor allem diese:
Die Schule verursacht mit ihrem Verlangen nach immer mehr und quantifizierbareren Kompetenzen bei vielen Kinder ein hohes Maß an Stress oder Langeweile. […]
Der Stress und die Angst vor schulischem Versagen, ja, letztlich als inkompetent abgestempelt zu werden, tragen zur schlechten Laune, die zur Entstehung von Konflikten führt, wesentlich bei und das vorwiegend bei denen, die aus bildungsfernen Familien stammen; mit einem Wort bei denen, die sich die von den Schulen verwendeten Bildungscodes nie, beziehungsweise lediglich eingeschränkt aneignen konnten.
Es wurde gezeigt, dass die Offenheits- und Toleranzhaltungen der Lehrkräfte größtenteils einer liberalen und diversen entsprechend sind, sodass die Schüler*innen von der Mehrheit der Lehrkräfte eine anspruchsvolle erziehungspädagogische Prägung erhalten konnten. Das ist aber sicherlich nicht ausreichend angesichts dessen, welche Einstellungen rund 10-16 % der Schüler*innen vor allem (aber nicht nur) in den Mittelschulen präferieren. Religiöser Fundamentalismus zum einen und Fremdenfeindlichkeit zum andren gehören dazu.
Es wurde darüber hinaus gezeigt, dass der Erziehungsstil der Eltern die Einstellungen der Schüler*innen am stärksten lenken. So ist naheliegend, dass eine frühere Kindergarteneingliederung, weniger Lernstress und mehr Beziehungsarbeit, Ethikunterricht und Ähnliches hilfreiche Maßnahmen wären. Die Pandemie zeigt in aller Deutlichkeit, dass, wenn die Schüler*innen nicht in der Schule sein können, sich das Fehlen dieses Raumes, der angesichts der darin erlenbaren Weltbeziehungen ein positiver Raum ist, negativ auf ihre Haltungen auswirkt.