Erschienen in; Die Presse am 18.8.24
Die Schule war und ist nirgendwo wirklich autonom – auch in Demokratien nicht. Sie ist seit eh und je fremdgesteuert, und zwar dermaßen, dass dabei zahlreiche innovative Bildungsansätze und menschliche Bedürfnisse der Lehrenden und Lernenden auf der Strecke bleiben. Ein unbefriedigender Zustand.
Aufgrund fehlender Autonomie hat die Schule jedenfalls weder genügend Möglichkeit, ihre pädagogischen und erzieherischen Aufgaben wahrzunehmen, noch Instrumente, um das Eindringen verschiedenster Ideologien, die mit Bildung nichts zu tun haben, zu verhindern. Die Macht der Schule, dem Staat zu sagen: „Das brauchen wir dringend, jenes aber gar nicht“, ist zu gering.
Wie überall hämmern auch an die Türen der Schule Ideologien aller Art, fragwürdige Smartphon-Welten, globale Einflüsse wie auch die Macht der Nationalstaaten. Wir haben also gute Gründe, um die Forderung nach mehr Schulautonomie gut vorzubereiten.
Österreich
In einem mit „Taschner für deutlichen Umbau im Bildungssystem“ betitelten Artikel schreibt der Kurier am 3.9.24: „Der Bildungssprecher der ÖVP, Rudolf Taschner, möchte den Einfluss des Staates auf unsere Schule stark minimieren“ – ein an sich begrüßenswerter, inhaltlich nahezu utopischer Kommentar.
Ginge es nach Rudolf Taschner, so würden die einzelnen Bundesländer für die Verwaltung zuständig sein und das Ministerium würde lediglich das Gerüst des Lehrplans vorgeben. Wichtig sei es, dass die Lehrkräfte mehr Freiraum erhielten. Die Schulen, so Taschner, sollten verpflichtet werden, Schwerpunkte zu setzen, etwa auf Naturwissenschaften, Kunst oder Sport.
Geht bei einer solchen Umgestaltung alles gut, dann müsste sich Schule ähnlich begehrenswert anfühlen wie die Arbeit an den Universitäten, im Sport- oder sogar Kunstbetrieb – allesamt wesentlich autonomere Felder. Ein solches Schulsystem wäre nicht nur freier, sondern leistungsfähiger.
Die doppelte Macht
Wenn das Bildungsministerium, wie Taschner es vorschlägt, für Länder und Schulen lediglich die Richtung vorgibt, stellt sich natürlich die alles entscheidende Frage, welche Richtung das denn wäre. Würde der Staat sagen:
- Macht die Jugend so kompetent wie nur möglich. Denkt daran, dass wir unseren gewohnten Wohlstand bewahren müssen und als Gesellschaft im Kampf, etwa gegen China, nicht untergehen dürfen!
Oder:
- Bringt der Jugend unbedingt bei, wie man gute Beziehungen zu den Menschen und zur Natur aufbaut. Bringt ihnen Neugier und Demokratie bei. Öffnet ihre Augen für das Natur- und Kunstschöne. Zeigt ihnen dazu schlüssige Denkrichtungen.
Es wäre natürlich gut zu wissen, welchen Standpunkt der Staat einnehmen würde oder ob sich aus den beiden Positionen eine Konsenslösung erzielen ließe.
Darüber hinaus ist es wichtig festzuhalten, dass nicht nur der Staat Macht über die Bildung hat. Wir alle haben sie – in Form von Wertehaltungen, die ihrerseits mit der realen Machtsphäre verbunden bzw. wesentlich von ihr geformt sind.
Das bedeutet, dass die Richtung der Bildung nicht nur in der Politik, sondern zusätzlich in autonomen Fachkreisen, in der Forschung und unter Einbindung von Lehrenden, Eltern, Gewerkschaften und Lernenden ausdiskutiert bzw. entschieden werden sollte. Erst nach einem erzielten Ergebnis lassen sich weitere Schulfragen (Stichwort: Gesamtschule) sinnvoll angehen. Alles andere ist ein Gehen im Kreis.
Das Ziel der Autonomie von Schule und Bildung – als unsere Zukunft schlechthin – braucht also sorgfältige Vorarbeit: die Kunst des Zuhörens und einiges an Investition.
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